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Lipödem-Selbsthilfegruppe: Dr. med. Catarina Hadamitzky (plast. Chirurgie und Wiederherstellung) spricht mit Bärbel Müller, 79
Es ist weder Disziplinlosigkeit noch Fettsucht: Das Lipödem ist eine oft übersehene Krankheit – eine Selbsthilfegruppe sorgt jetzt für Aufklärung.
Hannover. Jahrelang dachte Bärbel Müller, dass sie einfach nur zugenommen hat. Nach einer längeren Kortisonbehandlung vor 20 Jahren schwollen vor allem ihre Beine stark an, sie nahm etliche Kilos zu. „Ich habe Sport gemacht und Diäten, aber es passierte rein gar nichts“, sagt die 79-Jährige. Die Ratschläge der Ärzte erschöpften sich in Tipps zur Gewichtsreduktion – obwohl Müller über starke Schmerzen in den dick gewordenen Beinen klagte. Dann hörte sie vor einigen Jahren im Radio eine Sendung zum Thema Lipödem. „Da wusste ich, die reden von mir.“ Mittlerweile wird ihr Zustand immer häufiger als Krankheit erkannt.
Beim Lipödem handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung, die dazu führt, dass sich in Beinen und Hüften Fettzellen und oft noch Wasser ansammeln. Dadurch schwellen die Beine an, im fortgeschrittenen Stadium auch die Arme. „Mir machen vor allem die starken Schmerzen zu schaffen“, sagt Bärbel Müller. Ohne Kompressionsstrümpfe bis zum Schritt können sie kaum mehr als ein paar Meter laufen. Bei vielen betroffenen Frauen kommen Depressionen dazu, da sie sich körperlich verunstaltet fühlen, aber meistens als disziplinlose Dicke abgestempelt werden.
„Die richtige Diagnose habe ich erst vor ein paar Jahren erhalten“, erzählt die Seniorin. Es habe sie erleichtert zu wissen, dass sie ihre Fülle wirklich nicht selbst verschuldet hat. Und damit sich ihr Leidensweg bei anderen Patientinnen nicht wiederholt, hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. „Gemeinsam sind wir stärker“, so Müller. Die Gruppe treffe sich monatlich und hat neben Erfahrungsaustausch und Geselligkeit zum Ziel, die Krankheit bekannter zu machen. „Zudem versuchen wir zusammen Therapeuten und Ärzte ausfindig zu machen, die das Lipödem kennen und uns helfen können.“ Und nicht zuletzt geht es um die richtige Hautpflege, Kompressionswickel und Ernährung.
In Sachen Gesetzgebung tut sich allerdings mittlerweile auch etwas. Besonders schwer erkrankte Frauen sollen das Absaugen von Körperfett – die einzige Methode der Linderung – bald von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt bekommen. Für Patientinnen mit dem sehr ausgeprägten Stadium 3 soll diese Leistung ab 2020 zur Verfügung stehen. Dies gilt zunächst befristet bis 2024, bis eine generelle wissenschaftliche Studie zu Nutzen und Risiken vorliegen soll. Das geht aus einem Schreiben des für solche Entscheidungen zuständigen Gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hervor.
Laut einer Fachstudie entwickelt sich das Lipödem langsam zu einer Volkskrankheit – rund drei Prozent der Frauen sind demnach betroffen, Männer werden verschont. Die Krankheit bricht meist in einer Umbruchphase aus – sei es in der Pubertät, nach Schwangerschaft oder Menopause sowie einer Erkrankung. „Wir wollen vor allem fachgerecht behandelt werden“, betont Bärbel Müller. Häufig würden Patientinnen mit Lipödem mit Fällen von Lymphödemen oder Adipositas in einen Topf geworfen. „Dabei werden unsere Schmerzen und Hämatome oft ignoriert.“
Müller und ihre Mitstreiterinnen haben in der plastischen Chirurgin Catarina Hadamitzky eine Ansprechpartnerin gefunden, die sich für ihre Sache einsetzt. „Viele Patientinnen hören, dass sie mehr Sport treiben und abnehmen sollen. Aber keine der Lipödem-Betroffenen ist im herkömmlichen Sinne dick“, betont Hadamitzky. Zudem durchliefen die Frauen oft etliche Facharztpraxen –Rheumatologie, Phlebologie, Orthopädie – ohne die richtige Diagnose zu bekommen. „Ich plädiere in Bezug auf diese Krankheit auf eine bessere Aufklärung – und mehr entsprechende Fortbildungen für den medizinischen Nachwuchs“, sagt die Ärztin.
Die Selbsthilfegruppe, die Bärbel Müller über die Beratungsstelle Kibis in Hannover organisiert hat, hat sich herumgesprochen. „Das zeigt, wie viele Frauen von der Krankheit betroffen aber auch hilflos sind“, so die 79-Jährige Hannoveranerin. Medizinisch könne die Gemeinschaft zwar nichts anbieten, aber der Erfahrungsaustausch stärkt die einzelnen. „Wir nehmen nicht ab“, das sei erstmal Fakt. „Aber wir können zusammen nach Wegen suchen, die Symptome und Beschwerden zu lindern.“ Bärbel Müller will sich nicht mehr operieren lassen, „aber für viele jüngere Frauen ist das eine wichtige Option“. Ihre beiden Töchter sind nicht vom Lipödem betroffen – obwohl die Krankheit vererbbar ist.
„Je eher behandelt wird, desto geringer das Ausmaß“, sagt auch Hadamitzky. Das sogenannte Stadium drei, das sich durch massive und unförmige Beine auszeichnet, müssten viele Betroffene bei frühzeitiger Diagnose gar nicht erreichen. „Der gefühlte Kontrollverlust über den Körper führt zudem zu starker psychischer Belastung.“ Eine Absaugung der Lipödeme währt allerdings auch selten lebenslänglich. „Aber es ist ein wichtiger Anfang um das Leid vieler Frauen zu lindern“, meint Bärbel Müller.
Info: Wer Kontakt zur Selbsthilfegruppe aufnehmen möchte, kann das unter der Mailadresse eb.mueller@arcor.de machen. Weitere Informationen gibt es zudem im Internet unter www.liplymphamazonen.wordpress.com.
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