Für Hannovers Judo-Ass Igor Wandtke stehen die zweiten olympischen Spiele auf dem Programm. Dass aufgrund der Corona-Pandemie keine Fans in Tokio dabei sein werden, macht ihn "total traurig". Dennoch: Wandtke will unbedingt eine Medaille gewinnen, dafür habe er sich "fünf Jahre gequält".
Igor Wandtke sitzt mit nacktem Oberkörper auf dem Boden der Judohalle im Sportleistungszentrum. Er klebt sich sorgsam Tape um seine Zehen und seine Finger, während er mit Giovanna Scoccimarro über dies und jenes plaudert. Am Montag fliegen sie gemeinsam nach Tokio und vertreten das deutsche Judoteam bei den Olympischen Spielen, starten am 31. Juli sogar zusammen im Teamwettbewerb. Für Wandtke sind es nach 2016 in Rio schon die zweiten. Der 30-Jährige weiß, was auf ihn zukommt. Im Gegensatz zur erst 23-jährigen Scoccimarro, die froh ist, den erfahrenen Wandtke an ihrer Seite zu haben.
Das olympische Flair, die Zuschauermassen, die Begeisterung – all das wird in Tokio fehlen. „Das, was die Spiele ausmacht. Das macht mich total traurig, besonders für die, die das erste Mal dabei sind. Wie Giovanna“, sagt der Hannoveraner nachdenklich. „Für die meisten Sportler sind ihre ersten Spiele auch die einzigen.“
"Dafür habe ich mich nicht fünf Jahre gequält"
Ihm persönlich sei in diesem Jahr die fehlende Stimmung „egal. Ich habe das erlebt“. Umso besser kann er sich aufs Sportliche konzentrieren. „Für mich zählt nur, eine Medaille mit nach Hause zu bringen“, sagt der gebürtige Lübecker. 2016 in Rio hatte er dasselbe Ziel, scheiterte aber im Achtelfinale. Damit will sich Wandtke nicht erneut abfinden müssen. Nur dabei sein? „Dafür habe ich mich nicht fünf Jahre gequält.“
Edelmetall soll es schon sein. Doch Erfolg ist im Judo kaum planbar. Tagesform, Auslosung, Konzentration, Kleinigkeiten im Kampf selbst – es muss alles passen. Es gibt keine zweite Chance. Judoka kämpfen in ihren Gewichtsklassen alle Runden an einem Tag. Wandtke (73 kg) ist am 26. Juli dran. Fünf Jahre Vorbereitung für diesen einen Tag. Wandtke muss auf die Sekunde „bereit sein“. Ein Fehlgriff, eine Unkonzentriertheit kann schon das Aus bedeuten.
„Man muss alles drumherum ausblenden, seine Gedanken sortieren und gezielt steuern“, sagt Wandtke, der in den letzten Jahren mithilfe von Sportpsychologen viel im mentalen Bereich gearbeitet hat. „Seit 2016 lagen da bei mir die größten Leistungsreserven.“
Unmittelbar vor den Kämpfen hat er ein festes Ritual, lässt sich vom Trainer von oben bis unten abklopfen, „um das Adrenalin besser zu verteilen“. Wandtke läuft dann auf die Matte, „Schlendern kommt nicht infrage“, sagt er, reißt die Augen auf und versprüht seinen Kampfgeist: „Es muss knallen!“
Um die Auslosung will er sich nicht scheren, so spät wie möglich von seinem Gegner erfahren. Wandtke gehört nicht zu den Gesetzten. Das sind nur die ersten acht im Olympiaranking. Das Judo-Ass aus Hannover ist in den vergangenen Wochen und Monaten wegen einer schweren Verletzung auf Platz 21 gerutscht.
Im Februar hatte er sich den rechten Ellenbogen gebrochen, Innenband und Kapsel waren auch kaputt. Soweit ist alles wieder heile. Fürsorge braucht der lädierte Arm trotzdem noch. Wandtkes Tapestreifen sind jetzt breiter geworden. Mit seiner linken Hand umwickelt er den rechten Unterarm, schnippelt mit einer Schere am Verband herum. Die Prozedur dauert, auch um den Bizeps klebt Wandtke jede Menge Band und verbindet es mit dem am Unterarm. Die Konstruktion hält den Ellenbogen stabil, dennoch beweglich. Die letzten Handgriffe übernimmt Trainer Sven Loll.
Das Training beginnt. Wandtke übernimmt die typische Begrüßung. Es ist eine seiner letzten Einheiten. Dieses Wochenende vorm Abflug hat er frei. Endlich. „Man kommt ja vorher kaum zur Ruhe.“ Wandtke will nichts als chillen und schlafen. „Eben das, wofür ich sonst kaum Zeit habe.“ Ob das seiner Freundin Elna Ahrenhold gefällt? Wandtke lacht: „Ich befürchte, sie will raus in die Sonne und was unternehmen.“
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