Der Aufschrei war groß. Fast ganz Fußball–Deutschland redete plötzlich über ein Spiel in der Fußball–Verbandsliga. Was war passiert?
Das Spiel der Sportfreunde aus Dorfmerkingen am 29. Oktober 2022 beim und gegen den SSV Ehingen–Süd wurde beim Stand von 1:0 für die Heimmannschaft abgebrochen. Der Grund: Eine rassistische Beleidigung ("Du schwarzer Drecksack") gegen Sportfreunde-Kicker Yamoussa Camara .
Viele Wochen später gab es ein Urteil des Sportgerichts vom Württembergischen Fußballverband (WFV): beide Mannschaften verlieren mit 0:3.
Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Nach Einspruch beider Teams gibt es jetzt ein neues Urteil des WFV. Dieses Mal verliert nur Rassismus-Opfer Dorfmerkingen das Spiel und die Punkte.
„Wir sind riesig enttäuscht über das Urteil“, sagt Josef Schill von den Sportfreunden aus Dorfmerkingen. Die Begründung für das neue Urteil ist fast schon ein Roman.
Auf zehn Seiten erklärt das Sportgericht des WFV, warum es nicht erlaubt ist, ein Spielfeld zu verlassen und einen Spielabbruch herbeizuführen, wenn ein Spieler mit Migrationshintergrund mit den Worten „du schwarzer Drecksack“ beschimpft wurde.
Diesen Wortlaut wählte ein Zuschauer und Vereinsmitglied des SSV bekanntlich beim Spiel gegenüber Yamoussa Camara, der das Spielfeld daraufhin verließ. Die Folge: die Ampelkarte für Camara, der zuvor wegen eines Foulspiels schon verwarnt worden war.
Nach kurzer Rücksprache der Mannschaftsverantwortlichen mit dem Schiedsrichter Max Angenendt verließen auch die Spieler der Sportfreunde daraufhin das Feld.
„Ehingen hat das komplett verstanden und beide Mannschaften haben sich noch auf dem Feld für eine Neuansetzung oder ähnliches ausgesprochen“, erinnert sich SfD–Spieler Marc Gallego noch genau an jenen Spieltag.
Beide Teams verließen geschlossen den Platz und gingen in die Kabinen. Daraus resultierte letztlich der Spielabbruch, der die Sportgerichtsbarkeit jetzt beschäftigt.
Den Sportfreunden sei eine Spielfortsetzung zumutbar gewesen, so zumindest wird der Schiedsrichter in der Urteilsbegründung zitiert. Dies habe der Schiedsrichter der Mannschaft aus Dorfmerkingen bei besagtem Spiel auch so mitgeteilt. Diese hätten dennoch auf eine Rückkehr verzichtet und so den Abbruch verschuldet.
Diese in der Urteilsbegründung festgehaltene Tatsache ist einer der Ansatzpunkte, die die Verteidigung der Ehinger wählte, um zumindest die Punkte und die 0:3–Wertung gegen Ehingen zu kippen.
Dieses Kunststück ist gelungen. Denn das Gericht schob die Verantwortung für den Spielabbruch einzig und alleine Dorfmerkingen zu und wertete das Spiel mit 0:3 gegen die Sportfreunde.
Dann brauchen wir auch in Zukunft im Fußball keine Binde mehr tragen, die sich gegen Rassismus ausspricht. Es geht doch auch um den Menschen und was die gesagten Worte mit diesem Menschen machen.
„Beide Mannschaften sind in die Kabine gegangen und nun wird es so dargestellt als ob Dorfmerkingen nicht mehr unbedingt weiterspielen wollte“, sieht Schill seine Sportfreunde völlig falsch dargestellt.
„Ich bin schockiert und hab kein Verständnis dafür, wie man in diesem Fall so entscheiden kann“, sagt SfD–Kapitän Gallego und geht sogar noch weiter: „Dann brauchen wir auch in Zukunft im Fußball keine Binde mehr tragen, die sich gegen Rassismus ausspricht. Es geht doch auch um den Menschen und was die gesagten Worte mit diesem Menschen machen.“
Gallego ist sich sicher, hier sei das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Sportfreunde aus Dorfmerkingen haben nach der Urteilsverkündung am vergangenen Montag zehn Tage Zeit, um in eine neuerliche Revision zu gehen. „Wir werden uns über einen Rechtsanwalt erkundigen, ob wir eine Chance haben und wie wir weiter vorgehen“, sagt Schill.
Brisant zudem ein weiterer Punkt. Beide Vereine wollten die Geschichte eigentlich sportlich beenden. Der WFV indessen sah dafür offenbar keine Veranlassung.
„Sowohl Ehingen als auch wir haben Berufung eingelegt und wir waren uns eigentlich fast einig, dass das Spiel wiederholt wird“, fügt Schill an: „Richtig ärgerlich. Zumal das Wort Rassismus überall immer groß angesprochen wird. Hier hätte man ein Zeichen setzen können — auch im Ehrenamts– und Amateurbereich.“ Diese Chance ist jetzt vertan.